Interview Felicitas Richter – Homeoffice mit Familie

4.11.2024 | Zeitungsartikel

Liebe Frau Richter, bitte stellen Sie sich doch einmal vor! Als Dipl. Sozialpädagogin war mir schon im Studium klar: wer Kinder gut ins Leben hinein begleiten will, braucht selbst Stärkung. Ich wurde Schulseelsorgerin, Elternkursleiterin, Elterncoach und Eltern-Medien-Beraterin.
Themen in diesem Beitrag: Familie und Partnerschaft | HomeOffice

Liebe Frau Richter, bitte stellen Sie sich doch einmal vor!

Als Dipl. Sozialpädagogin war mir schon im Studium klar: wer Kinder gut ins Leben hinein begleiten will, braucht selbst Stärkung. Ich wurde Schulseelsorgerin, Elternkursleiterin, Elterncoach und Eltern-Medien-Beraterin. Aber erst, als ich Mutter von vier Kindern wurde, verstand ich, wie wichtig es ist, eine Haltung von Souveränität und Gelassenheit zu entwickeln, um die Herausforderungen des Alltags zu meistern. Als Professional Speaker, Trainerin und Coach vermittle ich heute in Vorträgen und Seminaren, was es braucht, in diese Haltung zu finden.

Sie haben ein Buch über Homeoffice mit Familie geschrieben. Wann sollen Eltern das eigentlich noch lesen?

In den vergangenen Monaten lief in den Familien ein Überlebensprogramm. HomeOffice und gleichzeitig Kinder betreuen und beschulen, das wäre uns früher unmöglich erschienen. Trotzdem haben es die Eltern geschafft. Die größte Herausforderung dabei war, irgendwie dafür zu sorgen, selbst bei Kräften zu bleiben. Viele Möglichkeiten gab es nicht. In meinen Seminaren haben wir deshalb Ideen gefunden, die sich auch in einem turbulenten Alltag umsetzen lassen. 

Ich empfehle Eltern zum Beispiel, in der Wochenplanung die täglichen 15 Minuten als Paar und möglichst einen Abend pro Woche für jedes Elternteil zur freien Verfügung fest  einzuplanen. Mein Buch ist ein kleiner, kompakter Ratgeber voller kurzer, knackiger Tipps. Einmal durchblättern, querlesen und wenn man an einer Idee hängenbleibt, die man spannend findet, dann kann das schon ein Impuls für den Tag sein.

Was sind denn, aus Ihrer Sicht, die größten Hürden für die Familien in diesen Zeiten?

Ja, ich denke, die größte Hürde ist, für sich selbst Zeit freizuschaufeln. Dabei ist die Kraft, die man daraus schöpfen kann, in Zeiten wie diesen wichtiger denn je. Die Partnerschaft reduziert sich zwischen Beruf und Familie oft auf die organisatorischen Aufgaben. Es ist wichtig, sich als Paar nicht aus dem Blick zu verlieren. Dazu kommen die Motivation der Kinder, die Begleitung der Schularbeiten und das Arbeiten, während jüngere Kinder betreut werden müssen. Es braucht viel Planung, mentale und emotionale Stärke. 

Aber es gibt auch viel Gutes in diesen Zeiten. Wer einmal akzeptiert hat, dass im HomeOfficemanche Erwartungen (auch seitens des Arbeitgebers) überdacht werden werden müssen, kann Familie auch ganz neu genießen. Kinder erleben den Arbeitsalltag der Eltern und gewinnen an Selbstständigkeit, weil Mama oder Papa nicht immer gleich springen können, wenn sie etwas wollen.

Und wenn nun kleine Kinder herumspringen und Schulaufgaben erledigt werden müssen: Wie bleiben Eltern denn da gelassen?

Wenn alles auf einmal auf mich einstürmt, brauche ich dreierlei. Da ist einmal diegrundsätzliche innere Ruhe, die mir hilft, gelassen zu bleiben. Ich spreche in meinen Seminaren vom „Auge des Hurrikan“: um mich herum kann der Alltag toben, wenn ich in meiner Mitte bin, fällt es mir viel leichter, die Herausforderungen zu meistern. Das allerdings braucht Übung und die oben erwähnte Selbstfürsorge. Das Zweite: wenn wir selbst in der akuten Situation total gestresst sind, können wir keinen klaren Gedanken fassen, wie wir alles jetzt unter einen Hut bringen. Dann gilt: erstmal selbst beruhigen, tief durchatmen, ein paar Minuten rausgehen, sich einen Tee kochen… was auch immer hilft, wieder ruhig und besonnen denken zu können. Und Drittens: Wir werden niemandem gerecht, wenn wir versuchen, alle Kinder, Arbeit, Haushalt gleichzeitig zu machen. Wenn wir eines nach dem anderen tun, schaffen wir in der Regel letztlich genauso viel, sind aber hinterher nicht völlig ausgepowert.

Homeoffice mit Kindern krankt ja auch nicht nur an der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie, es ist häufig ja auch ein Vereinbarkeitsproblem zwischen Eltern. Wie bekommen wir denn da eine gleichberechtigtere Aufteilung hin?

Häufig sind es die Frauen, die darüber klagen, dass sie ständig an alles denken müssen, von allen gefragt werden und sich allein in ihrer Verantwortung fühlen. Dieses Phänomen ist alt, heute nennen wir es Mental Load. Ich empfehle Paaren, zunächst einmal (grundsätzlich und aktuell) sichtbar zu machen, was alles ansteht und was alles zu bedenken ist. Man kann zum Beispiel eine gemeinsame MindMap erstellen. Viele sind erstaunt, was die Partnerin, der Partner so alles im Hintergrund tut. Nun gilt es, eine gerechte Verteilung von Erziehungs-, Versorgungs- und Haushaltsaufgaben auszuhandeln. Das wichtige dabei: nicht nur die Aufgaben zu verteilen, sondern vor allem die Verantwortung. Das ist für beide Seiten ein Lernprozess von Loslassen und beherztem Zupacken. Und ich empfehle, die heranwachsenden Kinder altersgerecht  immer mit einzubeziehen.

Was ist mit den Familien, bei denen es nur ein Elternteil gibt? Was raten Sie alleinerziehenden Müttern und Vätern in diesen herausfordernden Zeiten? 

Ich bin immer wieder erstaunt, welch kreative Lösungen, aber auch klare Prioritäten und Routinen Eltern entwickeln, die sich nicht auf einen Partner / eine Partnerin verlassen können. Und die Kinder sind meist erfreulich selbstständig. Ich habe großen Respekt vor dem, was da geleistet wird. 

Das wirklich Schwierige in diesen Monaten ist das fehlende Unterstützungssystem für Familien mit alleinerziehenden Eltern. Ich empfehle dann, eine Liste zu machen: „Was kann mich im Moment unterstützen – mit den Kindern, im Haushalt, aber auch emotional?“ Am besten macht man das mit jemand gemeinsam, denn hier ist Kreativität gefragt. Wenn es möglich ist, kann man sich zum Beispiel mit anderen Eltern zusammenzutun, so dass die Kinder einen Tag hier und einmal dort betreut werden. Oder abends online ein Glas Wein mit einer Freundin trinken. Alles, was hilft, ist im Moment richtig und wichtig.

Was sind Ihre Top 5 es geht einfach gar nichts mehr und wir sind alle am Limit Tipps fürs Homeoffice mit Kindern? 

• Das wichtigste im Moment: gut für sich sorgen. Nur, wenn es uns Eltern gut geht, geht es auch den Kindern gut.

• Tägliches Speed-Date in der Partnerschaft: morgens einen Kaffee gemeinsam im Bett trinken, nach dem Abendbrot einen kurzen Spaziergang – es braucht das tägliche Miteinander-Durchatmen und sich Mut machen. 

• Eine Not-to-do-Liste machen: alles aufschreiben, was wir bis zum Ende dieser einschränkenden Zeit NICHT tun werden – vom Geburtstagskarten schreiben über Fenster putzen bis zu Abendterminen im Ehrenamt.

• Regeln für Arbeit und Familienzeit miteinander festlegen: Wann und wo wird gearbeitet und wann und wo definitiv nicht?

• Signale vereinbaren: das rote Tuch an der Türklinke, eine Uhr aus Pappe zeigen, jetzt braucht einer in der Familie mal Ruhe – zum Hausaufgaben machen oder arbeiten, ein Buch lesen oder eine Netflix-Episode schauen.

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Felicitas Richter

Rednerin, Autorin & Mentorin – Für Frauen, die mehr wollen: Präsent in Familie – Erfolgreich im Job

Vorträge, Seminare, Coaching für gelingende Vereinbarkeit

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